Umzug

Vom Ghetto in die Upper class

Wir gehören jetzt zu den Spießern aus der biederen Vorstadt

Wir sind umgezogen und wohnen jetzt in einer alten Villa am Stadtrand am anderen Ende der Stadt, ein Zweifamilienhaus. Vom Ghetto in die Upper class sozusagen. Ein wenig vermisse ich die Scheinwerfer der vorbeifahrenden Bullenautos in unserem alten Garten. Sorry, freilich meine ich die Polizei – unseren Freund und Helfer, die sich hier am neuen Standort eher spärlicher blicken lässt. Aber das passt schon. Unser Garten ist auch eher uneinsichtig, kaum von Fahrzeugen zu beleuchten und so groß wie ein Fußballfeld, oder zwei? Ich weiße es nicht genau und fand Ballsportarten schon immer nur so semi gut. Klimt findet Bälle jedenfalls super. Den Garten auch. Die Wohnung ist doppelt so groß wie die alte. Unsere Klingel kann man aufziehen wie einen Wecker und der Keller führt in einen alten, einsturzgefährdeten Weltkriegsbunker. Betreten Verboten!
Die Nachbarn, die wir hier haben sind nicht nah, bis auf die, die direkt über uns wohnen und die scheinen ok zu sein. Das heißt: Kein Stress, keine unnötigen sozialen Kontakte. Den Hund finden sie in Ordnung. Wunderbar.
Der Wald ist nur ca. 5 Gehminuten entfernt. Zum Spaziergengehen sehr praktisch. Die Hundedichte ist hier relativ hoch. Ein Haufen gut erzogener Retriever, Labradoodle, weiße Schäferhunde, Dalmatiner und Kleinhunde, die in teuren Bungalows wohnen und ganz distinguiert nichts auf Klimts Gepöbel geben.

Tja, was soll ich noch sagen… ich glaube, wir werden spießig, gut bürgerlich, ein wenig langweilig.
5 Gründe, warum ich so langsam und mit einigem Schrecken davon überzeugt bin:

1. Das Esszimmer
Zum ersten Mal in unserem Leben haben wir ein Esszimmer mit großem hölzernem Tisch, Stühlen und einer Bank! Ja, wir könnten nun Freunde einladen, lächeln, Wein trinken, der mehr als 2,99 Euro kostet, fancy Sachen kochen und nach dem Essen philosophieren oder ein Gesellschaftsspiel starten, während wir uns mehrmals versichern, wie toll es ist, dass wir es einmal wieder geschafft haben, uns zu treffen. Denn schließlich ist jeder so verdammt busy! Ja, das könnten wir machen…

2. Happy Family, Yeah!
Wir sind jetzt eine glückliche Familie aus der Vorstadt. Der aufmerksame Leser wird merken, dass ich in diesem  Beitrag mit „Wir“ schreibe. Klar, Klimt und ich eben. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Denn wir sind nicht zu zweit umgezogen, sondern zu dritt. Nein, kein neuer Hund ist eingezogen. Stattdessen habe ich es erstmals gewagt, mit einem menschlichen Partner zusammenzuziehen (WG während des Studiums zählt nicht). Ziemlich großes Sache für mich im Hinblick darauf, das ich recht viele Eigenheiten und Schrullen habe, die ich extrem ungern aufgebe.

3. Die geborene Hausfrau!
Ich koche. Die Essenzubereitung sollte bisher den Zweck erfüllen, mich satt zu machen und möglichst zügig ablaufen. Seit dem Umzug – und ja wohl auch seit dem zweiten Lockdown, der Restaurantbesuche unmöglich macht – gebe ich mir tatsächlich Mühe. So ungern ich irgendein hausfrauliches Klischee erfülle, muss ich doch zugeben, dass es mir mehr Freude macht, noch für jemanden mit zu kochen, als nur für mich alleine. Die Quote stimmt übrigens: Ich bin ja wirklich niemand, der sich in Selbstlob suhlt, aber ich muss sagen, dass mir bislang alles recht gut gelungen ist. Auf mein Konto gehen mittlerweile: Eintöpfe, Suppen, Bratengerichte, Pastagerichte, Aufläufe und mehr!

4. Die Haushaltskasse
Punkt vier ist noch so ein Spießer-Ding. Wir haben jetzt eine Haushaltskasse, also freilich nicht Klimt und ich, sondern mein Partner und ich. Jeder zahlt monatlich einen gewissen Beitrag ein und von der Gesamtsumme gehen wir einmal die Woche groß die Dinge des täglichen Bedarfs einkaufen. Ein Sack Hundefutter ist ab und zu auch mit drin! Hand in Hand, mit rosigen Wangen, ständig schäkernd und mit lauter flatternden Herzen, die unsere Aura umgeben, flanieren wir so durch die Gänge von Aldi, Lidl, Kaufland und Edeka. Urgs! Mir wird selbst gerade ein wenig schlecht.

Klimt und Robi, der Staubsaugerroboter, laden ihre Akkus auf.

5. Klimts Verbannung und der Staubsaugerroboter
Der letzte und wohl diskussionswürdigste Punkt ist dieser: Hier herrscht jetzt Ordnung! Klimt wurde vom Sofa verbannt. Ich bin mir nicht sicher, wer mehr darunter leidet – der Hund oder ich. Ich leide auf jeden Fall. Gibt es etwas Schöneres als abends in Embryonenstellung auf der Couch zu liegen und die Lieblingsserie zu schauen, während sich der Hund am Bauch zusammenrollt?! Dennoch habe ich mich nach langen Gesprächen vor dem Umzug darauf eingelassen. Sein Hauptargument waren die Haare. Gut, die kann ich nicht wegleugnen. Wenn man eben kein ausgesprochener Hundemensch ist, stört einen das wohl. Also gab ich Kleinbei, hab dem Herren zu Weihnachten einen Staubsaugerroboter geschenkt und mich Schweren Herzens damit abgefunden, dass Kontaktliegen im Wohnzimmer nicht mehr funktioniert. Natürlich konnte auch ich in unseren hitzigen Verhandlungen einige Punkte für mich entscheiden. So darf Klimt weiterhin ins Bett – zumindest auf meine Seite. Außerdem habe ich ja noch mein Hundezimmer, unser Reich, klein aber fein, wo wir all das tun können, was in den Spießerräumen verboten ist. Hier steht auch eine Couch.

Im Hundezimmer ist er noch immer der Herr über die Couch.

Jetzt soll hier aber nicht der Eindruck entstehen, dass Klimt und ich mit einem Haustyrannen zusammenleben oder neben ihm her leben. Stattdessen hatte unser neuer Mitbewohner einfach bislang nie einen besonderen Bezug zu Hunden und muss sich in die neue Situation erst ein wenig einfinden. Manchmal macht es Klimt ihm auch nicht ganz leicht, wenn er sich etwa in unserer Abwesenheit den neuen Esszimmertisch, von dem er so wunderbar aus dem Fenster sehen kann, als  Lieblingsplatz aussucht. Was mich zum Lachen bringt, hinterlässt bei meinem Partner Fassungslosigkeit, was mich noch ein wenig mehr zum Lachen bringt. Aber letztlich raufen sich die beiden zusammen. Mittags unter der Woche, während ich arbeiten bin, gehen die beiden mittlerweile schon ihre gewohnte Runde miteinander. Generell sind unsere Arbeitszeiten für Klimt sehr praktisch. Er ist nun vieeel weniger alleine. Konkret: Statt vier mal die Woche 8 Stunden ist er nun nur noch vier mal die Woche 4 Stunden alleine. Die Mathematiker unter euch haben es sicher schnell umrissen, dass sich die Zeit der Einsamkeit halbiert hat. Und dafür werde ich tatsächlich gerne ein wenig spießig.

Alles in allem geht es uns also sehr gut in unserem neuen Zuhause. Wir freuen uns schon auf den Sommer, wenn wir den großen Garten ausgiebig genießen können und darauf, dass endlich die übrigen Möbel kommen und so nach und nach all die Kartons verschwinden.

Aber eines kann ich euch schon einmal versprechen: Ein Thermomix – für mich der Inbegriff des gut bürgerlichen Lebens – wird hier nie einziehen. Der Staubsaugerroboter und wir drei sind genug.




Kommentare

  1. Vielen Dank für die wunderbren Einblicke in euer "spießigeres" Leben ... und ich gestehe, hier ist es schon recht lange so :) Wobei wir ja auch schon lange gemeinsam leben (mein Mann und ich) und unser Leben in den letzten 30 Jahren mit verschiedenen Hunden teilten.
    Kompromisse gibt es hier auch, auch wenn wir eigentlich beide Hundemenschen sind. Mich stören Hunde weder im Bett noch auf dem Sofa - mein Mann kann nicht mit Hunden im Bett schlafen, aber als Wärmflasche auf der Couch findet er sie auch toll.
    Auch beim Rest findet sich immer ein Weg. Mein Mann hat z. B. vor etwa 10 Jahren gemerkt, dass er gerne kocht - und ich bin glücklich, dass ich es nicht mehr tun muss ;)
    Ich freue mich und bin schon sehr gespannt, wie es bei euch weitergeht.

    Liebe Grüße,
    Isabella mit Cara und Shadow

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  2. So ein erfrischender Artikel :D Willkommen im Spießer Leben :D Und an die Haare gewöhnt sich dein Partner auch noch. Irgendwann sieht er die nicht mehr. Meiner sieht sie auch nicht mehr :D

    Liebste Grüße
    Dani mit Inuki, Skadi und Eve

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    1. Danke, danke :) Das Genörgel über die Haare ist auch schon weniger geworden. Ich vertraue auch fest darauf, dass es irgendwann ganz verstummt.

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