Quality Time

 

Kurz mal Einzelhund

Die Wohlstandshunde sind Fan von der Quality Time


Der ein oder andere Mehrhundehalter kennt unter Umstäden das Szenario: Der eine Hund mag rechts schnuppern, der andere links und Herrchen oder Frauchen steht mit weit ausgestreckten Armen in der Mitte des Wegs.  "Mäuse, ich kann mich nicht zerreißen!", enfährt es mir da schon mal.  Altersbedingt (Louni ist jetzt 12, Klimt erst 6) ist Klimt natürlich viel zackiger unterwegs als mein altes Mädchen, das sich minutenlang an einem Grashalm festschnuppern kann. Deshalb gehe ich von Zeit zu Zeit getrennt spazieren und genieße es mindestens genauso wie die Wohlstandshunde.

"Ach, machst du wieder Prime Time?", fragt mich neulich ein Freund, als er mich nur mit Louni antrifft. "Ne... Quatsch... wie heißt das?", überlegt er. "Quality Time", helfe ich ihm. Ja, das Ding hat nämlich einen Namen. Und ist eine super Sache. Wenn es meine Zeit und mein Enegielevel zulassen, verbringe ich Quality Time mit meinen Hunden. Der Begriff, der sich in den 70er Jahren etabliert hat, als es darum ging Beruf und Familie zu vereinbaren, bezeichnet die bewusst gelebte Zweisamkeit.* Diese bezieht sich im öffentlichen Diskurs meist auf den Partner oder die Kinder. Das Ganze lässt sich aber auch ganz wunderbar auf Mensch-Hund-Beziehungen anwenden. Ich kann regelrecht dabei zuschauen, wie die Wohlstandshunde aufblühen und fühle mich plötzlich seltsam-schön verbunden mit meinem Hund, wenn wir nicht im Rudel spazieren gehen, sondern meine ganze Aufmerksamkeit nur einem von ihnen gilt und umgekehrt.  Das hat den Vorteil, dass beide weniger Unsinn machen - ganz so als wüssten sie, dass Frauchen jetzt alles mitbekommt, ohne vom anderen Hund abgelenkt zu sein. 

 

Klimt wird zum Streber

 

Im Fall von Klimt verbessert sich seine Leinenführigkeit schlagartig. Er zieht viel weniger und ist aufmerksam. Das kann daran liegen, dass ich immer wieder kleine Unterordnungssequenzen in den Spaziergang einbaue, er nicht mit Louni darum wetteifern muss, wer weiter vorne läuft und daran, dass ich es einfach nicht durchgehen lasse, wenn an der Leine gezogen wird. Denn wenn Louni dabei ist, kann ich ihn nicht maßregeln - auch nicht ganz subtil mit der "Ich bleib solange stehen bis du nicht ziehst-Technik". Louni ist zwar nicht betroffen, nimmt das Prozedere aber persönlich und schleicht geknickt hinterher. Auch auf andere Hunde oder Radfahrer reagiert Klimt weniger aufbrausend. Das hängt bestimmt damit zusammen, dass auch ich weniger angespannt bin. Mit nur einer Leine in der Hand habe ich natürlich viel mehr Handlungsspielraum in brenzliger Sitautionen. Wenn uns etwa ein Radler ohne zu klingeln rasant überholt oder ein Tutnix auf uns zukommt, habe ich eher das Gefühl die Situation unter Kontrolle zu haben und projeziere meine gelassenere Haltung auf Klimt. 


Lounis Jungbrunnen

 

Während Klimt also wesentlich erwachsener wirkt, ist die Quality Time für Louni wie ein Jungbrunnen. Unbeschwert und leichtsinnig läuft sie plötzlich vorneweg, zieht sogar etwas an der Leine, schnuppert und pieselt hemmunglos. Auch fremden Hunden gegenüber ist sie weniger feindselig eingestellt. Sie muss ja nun niemaden mehr beschützen oder Situationen kontrollieren. Denn das tut sie mit großem Pflichtbewusstsein - nicht nur bei Hundebegegnungen. Ist Klimt dabei, mutiert Louni zur richtigen Petze. Gräbt Klimt zum Beispiel nach Mäusen oder beginnt zu stöbern, blickt sie mich alamiert an. Eigentlich müsste ich bei Spaziergängen gar nicht nach Klimt schauen, sondern nur Lounis Ausdruck interpretieren. Das ist aber gar nicht so einfach. Denn meist läuft sie hinnterher, um besser kontrollieren zu können und manchmal auch weil sie fürchtet, ich würde Klimt maßregeln. Das hält sie nämlich nur schwer aus, weil sie nach sechs Jahren immernoch alles auf sich bezieht. Passanten denken dann immer, sie wäre einfach nur alt und gebrechlich, wenn sie hinterherschleicht. Doch die sollten meine 12-jährige Louni mal während der Quality Time beobachten. Da wirkt sich gleich 4 Jahre jünger. Da traut sie sich übrigens nicht Scheiße, Essensreste oder totes Tier zu fressen. Denn sie weiß genau - während der Qality Time sieht Frauchen alles. 

Mein Plädoyer für die Quality Time darf nicht missverstanden werden als Plädoyer für die Einzelhundhaltung. Ich bin sehr froh zwei Hunde zu haben (mit mehr Zeit und Platz hätte ich wohl noch einige mehr), von deren Kommunikation ich mir so viel abschauen kann. Ich finde es wunderbar, wenn sie zusammen spielen, weil mein arthritisches altes Mädchen es nicht lassen konnte den spaßbefreiten, viel zu stolzen Rüden zum Raufen zu überreden. Ich finde es wunderbar wenn Klimt, der sehr an körperkontakt interessiert ist, es geschafft hat sich an die mürrische Louni zu kuscheln. Und regelmäßig erleide ich einen Zuckerschock, wenn Louni nach dem Baden Klimt trocken leckt und Klimt ergeben still hält, als wäre er noch ein unschuldiger Welpling.

* Mehr dazu kann man auf Wikipedia nachlesen: de.wikipedia.org/wiki/Quality_time

Fotos: Walentina Specht

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