Mein Hundeopa

Der alte Hund und die Zeit


Die Uhr tickt und wir versuchen das Allerbeste aus dem zu machen, was bleibt


Ich habe einen alten Hund. Klimt ist jetzt 14 Jahre und 8 Monate alt. In diesem Alter ist meine Louni, seine Mutter, gestorben. Er ist nun ein echter Opa und in einem ähnlichen körperlichen Zustand wie sie. Das Fell zotteliger. Die Farbe nicht mehr so kräftig rötlich. Der Gang oft strauchelnd. Kaum Muskeln, nur Gelenke, die schmerzen. Die Augen trüb. Die Reaktionen verzögert. Die Rute trägt er tief. Die Krallen streifen den Boden beim Laufen. Wo ist das Feuer hin?

Ich habe Angst. Alles wird weniger.
Die Ausdauer.
Die Körperspannung.
Sein Anteilnehmen.
Das Hörvermögen.
Das Sehvermögen.
Er wird weniger.
Die Zeit wird weniger.

Die goldene halbe Stunde


Die Uhr tickt und ich zerreiße mich, um allen einen Teil von meiner Zeit zu geben. Arbeit, Haushalt, Mann, Kind und Hund. Ich versuche krampfhaft, die Zeit zu vergolden*. Ich bin fahrig, durchgeplant verplant und das Lachen ist nicht echt. Die süßen Worte ein Laienspiel.
Am Ende bleibt ein schlechtes Gewissen, weil wieder jemand zu kurz gekommen ist.
Eine halbe Stunde am morgen gehört Klimt und mir. Die goldene halbe Stunde. Alles schläft um 5.45 Uhr, wenn ich ihm das Geschirr überstreife, der Karabiner seiner Leine ein metallenes Geräusch von sich gibt und wir das Haus auf leisen Sohlen verlassen. Ich sehe schon jetzt, ob es einer seiner guten Tage ist. Wir laufen hoch Richtung Wald. Angekommen darf er frei laufen. Keine Seele außer uns. Ruhe. Fast wie früher, nur in alt. Der perfekte Start für den übrigen Wahnsinn, nur zu kurz.
 

Manchmal schläft Klimt so tief, dass er nicht gleich aufwacht, wenn ich ihn rufe und dann berühre. Mein Herz klopft dann immer sehr. Fuck! Er wird doch nicht einfach gestorben sein, so ganz ohne vorher Fragen und Ankündigung. Es wird wieder warm, wenn er dann doch genervt die Augen öffnet.

Wir haben noch Pläne!


Es ist nicht fair, einen alten Hund aufs Abstellgleis zu schieben. Gerade alte Hunde müssen angemessen bewegt, gefordert und weiter einbezogen werden. Das haben sie verdient. Sie haben nur uns und dieses kurze Leben und das Altsein gehört dazu. Es ist unsere Pflicht, sie hierbei zu begleiten bis zum Schluss. Wenn man hinsieht, bemerkt man welch ein Zauber einem alten Hund innewohnt. An Klimt bemerke ich in letzter Zeit immer öfter eine besondere Gelassenheit, Milde und Weisheit.

Klimt ist nicht aufgegeben. Wir haben noch einiges vor. Wir wollen bald ans Meer. Wir wollen umziehen. Beides noch in diesem Sommer. Er war bei allen wichtigen Dingen in meinen Leben dabei. Er  soll auch diese nicht auslassen.

Seine Verdauung ist aktuell ganz gut eingestellt. Flohsamenschalen und eine strikte Diät (die nur durch das Kind ab und zu gestört wird) zahlen sich aus. Die Arthrose und die Spondylose werden nicht mehr besser. Das ist klar. Ich will auch nichts von irgendwelchen heilsbringenden Mittelchen mehr wissen. Hat alles schon bei Louni nicht geholfen und am Ende gebe ich viel Geld aus, das irgendwelchen schmierigen Kapitalisten in die Taschen fließt, die eine gute Marketingstrategie haben. Lange wollte ich ihm keine dauerhaften Schmerzmittel geben, weil ich Angst hatte, dass die mehr kaputt als heil machen. Aber jetzt denke ich: Was sollen die in der kürze der Zeit kaputt machen. So hat Klimt jetzt gerade seine zweite Librela Depot-Spritze gegen die Gelenkschmerzenbekommen. Ich bin noch nicht wirklich sicher, ob sie ihm hilft, aber der Tierarzt hat uns schon darauf vorbereitet, dass es etwas dauert, bis die Wirkung einsetzt.

Gekommen, um zu bleiben


Und, hey! Totgesagte leben länger, heißt es ja. Daran klammere ich mich. Ich muss mich oft daran erinnern, nicht in Negativspiralen zu verfallen, sondern die guten Dinge zu sehen. Klimt pöbelt weiterhin andere Hunde an, wenn er sie denn sieht (Ja, das ist gut, hätte ich früher auch nicht gedacht). Er hat immer noch Frühlingsgefühle bei Hündinnen und kastrierten Rüden. Er hat trotz Schmerzen Lust, mit in den Garten und zum Spaziergang zu gehen. Er findet es sogar doof, wenn er nicht mit darf. Er hat weiterhin Appetit, bettelt wie irre und klaut Essen, sobald keiner da ist. Er „streitet“ sich mit meinem Sohn um Bälle und Äste. Meist gewinnt er noch, wenn ich nicht moderierend einschreite. Er fordert auch noch Streicheleinheiten ein und wenn es kalt ist, wuchtet er seinen arthritischen Körper sogar noch zu mir ins Bett. Freilich decke ich ihn zu und freue mich wie bescheuert.
Also, ja, verdammt! Klimt bleibt noch eine Weile!

* „Zeit vergolden“: Das ist übrigens nicht meine Wortschöpfung, sondern stammt von andershund.
 

 



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